Vortragsreihe, WS 2023/24: Licht auf die Worte. Philologien der Aufklärung aus internationaler Perspektive

Die Erzählung von der großen Errungenschaft der ›modernen Philologie‹ hat eine reiche Tradition im deutschsprachigen Raum. Ihre Kontinuität seit der Spätaufklärung bis heute verdankt sich letztlich der relativ stabilen Gestaltung der intellektuellen Öffentlichkeit und der Bildungspolitik in deutschsprachigen Gebieten. Doch wie wird die ›moderne Philologie‹ in der internationalen Rezeption wahrgenommen? Und überhaupt: Worauf referierte und referiert der Begriff ›moderne Philologie‹ in anderen Sprachräumen?

VORTRAGSREIHE DES IZEA im Wintersemester 2023/24 in Kooperation mit dem DFG-Projekt „Genealogie der Philologie“

Programm

Robert Buch

Dr. Robert Buch ist seit 2021 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Davor hatte er Positionen in Chicago, Pittsburgh und Sydney inne. Zu seinen besonderen Forschungsinteressen zählen das Nachleben der Religion in der Literatur der Moderne sowie Fragen von Säkularisierung. Gemeinsam mit Prof. Dr. Daniel Weidner organisiert er seit 2021 das Nachwuchsforschungsforum Literatur und Religion. Seit Mai 2023 fungiert er als Koordinator des Forschungsschwerpunkts Aufklärung – Religion – Wissen.

Theo Jung

Theo Jung ist seit 2022 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der MLU Halle-Wittenberg. Im Zentrum seiner Forschung steht die vergleichende Politik- und Kulturgeschichte Westeuropas vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, mit besonderen Schwerpunkten auf politischen Kommunikationsprozessen und gesellschaftlichen Reflexionsdiskursen. Als Beiratsmitglied der Bundesstiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ engagiert er sich auch im Bereich der historischen Bildungsarbeit für einen kritisch-reflexiven Umgang mit der deutschen und europäischen Politikgeschichte.

Literatur im Widerstreit. Öffentlichkeit und literarische Intervention, damals und heute

Ein Gespräch mit Jürgen Brokoff, Freie Universität Berlin, Literaturhaus Halle, 25. Oktober 2023, 19 Uhr

Provokation und öffentliche Intervention zählten lange Zeit zu den genuinen Möglichkeiten der Literatur, von Charles Baudelaire bis Emile Zola, von Heinrich Böll zu Elfriede Jelinek. Wie steht es heute damit? Inwiefern ist Provokation weiterhin ein Mittel der Literatur? Inwiefern empfangen öffentliche Debatten ihre Anstöße auch heute noch durch literarische Werke? Wie viele öffentliche Interventionen oder Provokationen gab es in den letzten Jahren von Seiten der Autoren und Autorinnen der Gegenwart?

Anhand zweier prominenter Fälle – dem deutsch-deutschen Literaturstreit um Christa Wolfs Erzählung „Was bleibt“ und der Debatte um Botho Strauß’ Essay „Anschwellender Bocksgesang“ – untersucht der Literaturwissenschaftler Jürgen Brokoff die Infragestellung der Autorität literarischer Autorschaft und den Wandel der literarischen Öffentlichkeit. Im Gespräch mit Studierenden und Lehrenden der MLU stellt der Autor die Thesen seines Buchs Literaturstreit und Bocksgesang (Wallstein 2021) im Literaturhaus Halle vor und reflektiert auf das Verhältnis von Literatur und Öffentlichkeit unter den gewandelten medialen Bedingungen unserer Gegenwart. Diese haben den Raum öffentlicher Debatten zwar signifikant geöffnet und erweitert, die darin geführten Auseinandersetzungen aber zugleich radikal verschärft.

Jürgen Brokoff: Studium der Germanistik und Geschichte in Münster und Bonn. Seit 2014 Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren in Irvine, Yale, Cornell. Zahlreiche Publikationen, darunter Geschichte der reinen Poesie. Von der Weimarer Klassik bis zur historischen Avantgarde sowie Engagement. Konzepte von Gegenwart und Gegenwartsliteratur (hg. zusammen mit Ursula Geitner und Kerstin Stüssel). Seit 2022 Sprecher des SFB 1512 „Intervenierende Künste“.

Élisabeth Décultot

Prof. Dr. Élisabeth Décultot ist seit 2015 Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der MLU Halle-Wittenberg, Lehrstul für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischer Wissenstransfer, und leitet seit 2020 das Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der europäischen Aufklärung (IZEA) dieser Universität. Ihr wurde 2015 eine Alexander-von-Humboldt-Professur verliehen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literatur des 18.-19. Jahrhunderts sowie in der Geschichte der gelehrten Praktiken der frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Wissenstransfers. Publiziert hat sie insbesondere zu Johann Joachim Winckelmann und zur Entstehung der Kunstgeschichtsschreibung, zum Kunstdiskurs der Aufklärung und des Klassizismus sowie zu Johann Georg Sulzer, deren „Gesammelte Schriften“ sie herausgibt. Sie ist Ko-Leiterin des DFG-Verbundprojekts „Portal ‚Der deutsche Brief im 18. Jahrhundert‘“, des BMBF-Verbundprojekts „Exzerpte. Zur digitalen Erschließung und Edition einer besonderen Text-Bild-Konstellation am Beispiel Johann Joachim Winckelmanns“ und des Langzeit-Projektes der Union der Akademien an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Antiquitatum Thesaurus. Antiken in den europäischen Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts“.

Ottfried Fraisse

Ottfried Fraisse ist seit 2019 Professor für Judaistik / Jüdische Studien am Orientalischen Institut der MLU Halle-Wittenberg und hat diesen Lehrstuhl seit 2016 vertreten. Zu seinen Forschungsgebieten gehört die mittelalterliche Aufklärung, insbesondere die jüdisch-arabische Poesie und Wissenschaft im mittelalterlichen al-Andalus, und die europäische Aufklärung der Moderne im Spiegel der Islamforschung der Wissenschaft des Judentums wie auch die jüdische Aufklärungsbewegung im modernen Nahen und Mittleren Osten („jüdische Nahda“). Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem Verhältnis zwischen lokalen Aufklärungsdynamiken und dem Verhältnis zu Europa. Er leitet das BMBF-Projekt „Jenseits von Konflikt und Koexistenz – Verflechtung jüdisch-arabischer Wissenskulturen“. Seit 2020 ist er Mitglied im Direktorium des IZEA und des IZP.

Christian Soboth

Christian Soboth ist germanistischer Literaturwissenschaftler und arbeitet seit 1999 am Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, seit 2002 ist er geschäftsführender Assistent und Mitglied des Direktoriums. Zu seinen Forschungsinteressen zählen das Verhältnis von Literatur und Religion, Theologie und Frömmigkeit im 17. und 18. Jahrhundert, die Kulturgeschichte der Melancholie sowie die Lyrik der klassischen Moderne. Zudem ist er geschäftsführender Herausgeber des wissenschaftlichen Jahrbuchs „Pietismus und Neuzeit“. Außeruniversitär engagiert er sich für das literarische Erbe in Sachsen-Anhalt, z.B. als Vorsitzender des Klopstock e.V. für Klopstocks 300. Geburtstag 2024.

Wiebke Windorf

Wiebke Windorf ist seit 2022 Professorin für Kunstgeschichte der Neuzeit an der MLU Halle-Wittenberg. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Fragen nach der Diskursivität von Kunst in gesellschaftlich-kulturellen Transformationsprozessen, etwa nach der Faktizität und Fiktionalität in der Historienmalerei des römischen Seicento sowie der narrativen Sepulkralskulptur in der Aufklärung. Aktuell untersucht sie die Wirkmächtigkeit und Vulnerabilität von Skulptur. Sie ist Mitglied im Direktorium des IZEA sowie des IZP und leitet ein DFG-Projekt zur Skulptur und Sakralität in Paris am Übergang zur Moderne.

Tagung: Jenseits der Kritik?

Schmähpraktiken in der Aufklärung, Schmähpraktiken von Aufklärern

29.06. – 01.07.2023

Tagung im Neubauer-Saal der Franckeschen Stiftungen (Franckeplatz 1, Haus 52), in Kooperation mit der TU Dresden und der MLU Halle-Wittenberg (ARW und IZEA)

Versteht man die Aufklärung als „Zeitalter der Philosophie“, so verbindet man mit ihr insbesondere sachbezogene Kritik und vernünftiges Räsonnement. Der Streit um die Wahrheit wird positiv abgehoben von persönlichen Angriffen und Schmähungen, letztere spielen in der Aufklärungsforschung eine eher untergeordnete Rolle. Inwiefern ändert sich unser Bild vom Zeitalter der Philosophie, wenn sich die Aufklärungsforschung weniger den kritischen Sach- und Werturteilen der Aufklärer zuwendet, sondern stattdessen diejenigen Angriffe der Aufklärer in den Blick nimmt, die gegen Personen gerichtet waren und auf deren Diffamierung, Ausgrenzung, Bloßstellung abzielten? Auf der Tagung wird dieses Thema in insgesamt fünfzehn Beiträgen interdisziplinär in den Blick genommen.

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