Workshop Zukunftsorte, 24.6.2025

Im Rahmen der Seminarreihe im Sommersemester 2025 zum Projekt “Zukunftsorte” findet am 24.6.2025 ein gemeinsamer Workshop statt, an dem Vorträge von Lucian Hölscher, Rüdiger Graf und Stefan Willer zu einer gebündelten Diskussion der theoretischen Voraussetzungen von ‚Zukunft‘ anregen sollen. Thema sind allgemein die Imagination, Theorie und Narrativität von Zukunft in der Literaturwissenschaft und angrenzender Fächer wie Geschichte oder Kunstgeschichte, die anhand einzelner Fallbeispiele erörtert werden. Die ‚Zukunft‘ wie wir sie heute kennen, begann sich als Kategorie seit dem späten 18. Jahrhundert konzeptionell auszudifferenzieren. Kosellecks Diagnose der Kollektivsingulare trifft auch hier zu und lässt eine Untersuchung der verschiedenen geschichtsphilosophischen Konzepte zu, die seither den Begriff füllen. Anhand der Vorträge sollen mit den Studierenden historische Modellierungen von Zukünften diskutiert werden, wobei in einem zweiten Schritt der Schwerpunkt in Richtung einer Topographie verschoben werden soll, also der Ortsgebundenheit und -spezifik von Zukunftsvorstellungen.
Bei Zukunftsorten ist die Rede von Orten, „an denen sich gesellschaftliche Erwartungen kristallisieren, Zukünfte erprobt und Spuren in das Noch-Nicht gelegt werden“ (Geppert, Siebeneichner 2017). In Anlehnung an Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte stehen hier zunächst konkrete Orte im Mittelpunkt – wie etwa in den Seminaren zu Halle-Neustadt oder Leuna thematisiert –, die sich im Alltag der Menschen manifestierten und der gleichzeitig imaginative Räume eröffneten, in denen Zukunft ausgehandelt wird und wurde. Zudem insinuieren sie anstatt von Tradition eher die Antizipation auf das Kommende. Dabei scheinen sie im Gegensatz zu Erinnerungsorten zunächst eher physisch konkret und nicht metaphorisch zu funktionieren (Ahner 2023). Noras Erinnerungsorte legten zusätzlich zur abstrakten Vorstellung von Geschichte auch eine sinnliche Begegnung mit ihr nahe. Wie sich an ‚Zukunftsorten‘ als räumliche Verdichtungen von Transgressionserfahrungen auch eine sinnliche, körperliche und materiell greifbare Vorstellung beschreiben lässt, wurde jedoch noch nicht untersucht. Insgesamt scheint die Frage wie Zukunftsvorstellungen mit technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen zusammenwirken und sich in Räumen und Objekten materialisieren, sowohl in vergangenen Zukunftsorten als auch in aktuellen, noch kein Gegenstand der Forschung. Wie lässt sich beschreiben, wie Menschen sich an Orten die Zukunft ausmalen und darüber nachsinnen, wie sie wohl aussehen könnte? Ortsspezifische Imaginationen (von Zukunft) bleiben notwendig vage und prozessual, nehmen aber doch wie im Beispiel der Architekturfantasien oder utopischer Reisebeschreibungen konkrete Formen an. Zukunftsorte sind in diesem Sinne Orte des Zukunft-Machens, an denen die Zukunft als Ergebnis zutage tritt und an denen weitere Aushandlungen von Zukunft initiiert werden können (Ahner 2023). Der Workshop diskutiert solche Überlegungen anhand der Vorträge und weitere Beispiele und sucht so, topographische Nuancen der Utopie- und Zukunftsforschung herauszuarbeiten.

Ahner, Helen: Planetarien, Göttingen: Wallstein 2023.
Geppert, Alexander C.T. /Siebeneichner, Tilmann: Einleitung. ›Lieux de l’Avenir‹. Zur Lokalgeschichte des Weltraumdenkens. In: Technikgeschichte 84 (2017), H. 4, S. 285–304.

Christian Drobe, Postdoc ARW: Vortrag „Die Zukunft der Industriefotografie? Offene Fragen und Möglichkeiten“

13. April 2025, Halloren- und Salinemuseum, Halle

J Henry Fair: 3814-001, Stadt direkt am Braunkohletagebau Jüchen, Deutschland, 29.04.2010 https://www.instagram.com/jhenryfair/

Vortrag zum Tag der Industriekultur in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Ausstellungspräsentation ‚Nach den Maschinen. Industriefotografie aus Sachsen-Anhalt‘ in der Saline.
Der Tag der Industriekultur verbindet ein ganzes Land im Zeichen der Industrie. Vielfältige Orte, Personen und Ereignisse werden am Tag der Industriekultur im ganzen Land präsentiert. Die Saline in Halle ist dabei ein wichtiger historischer Knotenpunkt für die städtische Industrie und neuer Zukunftsort für museale Präsentationen und den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Die hier zuletzt ausgestellte Industriefotografie kann als wichtiges Medium kultureller Repräsentation gelten und lädt zu weiteren Reflexionen und einem Blick in die Zukunft ein.

Stephan Pabst

Stephan Pabst ist seit 2021 Professor für neue deutsche Literatur an der MLU Halle-Wittenberg. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Wissensgeschichte der Literatur im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, die Geschichte anonymer Autorschaft, die Literatur der Konzentrationslager, DDR- und Gegenwartsliteratur.

Zukunftsorte

‚Zukunftsorte‘ verstehen sich in Anlehnung an Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte, das sowohl konkrete, traditionsbildende Orte umfasst wie auch bestimmte Topoi und moderne Mythen, aus denen sich das kollektive Erinnern speist und an denen es immer wieder neu entsteht. Dementsprechend sind ,Zukunftsorte‘ diejenigen Stellen in der Wirklichkeit, in der Zukunft imaginiert und verhandelt wird. Denn Zukunft ist ja nicht einfach gegeben, sondern wird permanent hergestellt, verhandelt, neu austariert in Appellen und Prognosen, in Wünschen und Ängsten, mit Bildern und HanPlätzen, Projekten, Aktionen, an Namen und Ideen, Versprechen und Vorhersagen. Manchmal sind es Orte, die von vornherein emphatisch Zukunft entwerfen, die das Morgen schon hier und heute vorwegnehmen, die Heilserwartungen inszenieren oder Schrecken an die Wand werfen. Manchmal wächst solchen Orten ihre Zukunft erst im Nachhinein zu, und erst im Rückblick erkennen wir in ihnen den Anfang des Neuen. Immer sind es Orte, an denen Besetzungen und Gegenbesetzungen, Erzählungen und Bilder der Zukunft aufeinandertreffen und miteinander in Dialog treten – einen Dialog, den man beobachten, aber auch fortführen kann, denn jeder dieser Orte kann auch selbst wieder weitere Ideen von Zukunft generieren. Als prominentes Beispiel eines solchen Ortes sei Halle-Neustadt genannt, zu dem es kürzlich ein studentisches Projektseminar an der MLU gab und das weiterhin einen der Schwerpunkte des „Imaginationen der Zukunft“-Projekts bildet.

Christian Drobe

Christian Drobe studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Dissertation über Klassizismus in der Moderne 1920-1960, (erschienen 2022, VDG Weimar). Bis September 2024 war er Kurator des Ausstellungsprojekts „Nach den Maschinen. Industriefotografie aus Sachsen-Anhalt“. Zuvor war er Postdoctoral Research Fellow am Institut für Kunstgeschichte der Masaryk-Universität in Brünn, Tschechische Republik, im Rahmen des ERC-Projekts „Continuity / Rupture: Kunst und Architektur in Mitteleuropa, 1918-1939 (CRAACE)“, bis 03.2024. Seine Hauptforschungsinteressen sind figurative Malerei, Neue Sachlichkeit, Kunst während der Nazizeit und die konservative Moderne. Er beschäftigt sich auch mit der Kunst in Zentral- und Osteuropa, insbesondere in Österreich, Ungarn und der Tschechischen Republik. Veröffentlichungen zu Emil Nolde, Karl Sterrer und dem Magischen Realismus. Seit Oktober ist er Postdoc-Stipendiat am Landesforschungsschwerpunkt Aufklärung | Religion | Wissen mit dem Schwerpunkt Zukunftsorte.

Im Streit verstrickt. Schauplätze, Streitweisen und Affektpolitiken aktueller Konflikte

Workshop, 21.-22. November 2024
Ort: Seminarraum, IZP, Franckesche Stiftungen, Haus 24, EG. Franckeplatz 1, 06110 Halle (Saale)

Wir leben, so scheint es, in einer Zeit der Eskalationen. Fast im Tagesrhythmus brechen neue Konflikte auf, denen man sich schwer entziehen kann: von eher klassischen Verteilungs- und Interessenkonflikten zu Deutungskonflikten, die in immer weitere Bereiche ausgreifen und oft als „Kulturkämpfe“ zum Zeichen einer neuen Zeit erklärt werden. Denn diese Kämpfe verstricken auch eigentlich Unbeteiligte und zwingen zu Parteilichkeit. Vermittlung scheint vergeblich, die Antagonismen unauflösbar: es herrscht ,deadlock‘ zwischen unversöhnlichen Positionen. Die Vehemenz unserer aktuellen Kulturkämpfe erzeugt Faszination und Unbehagen. Ihre Polarisierungen versprechen Ordnung in die ehemalige ,neue Unübersichtlichkeit‘ zu bringen, aber sie produzieren zugleich Unruhe und scheinen einer Dynamik zu folgen, deren Effekte sich nur ungefähr übersehen lassen.

Die neuen Streitformen affizieren auch die Kulturwissenschaften. Sie sind betroffen sowohl als Zielscheibe kulturkämpferischer Diffamierung – unter Titeln wie cancel culture, identity politics oder cultural marxism – als auch, in ihrem aktivistischen Flügel, als Akteure im Konflikt, ob im Namen beispielsweise der postcolonial studies oder der environmental humanities. Aber auch der Kulturbegriff selbst ist betroffen. Denn statt als dynamischer Prozess des Austausches, der Verhandlungen und Hybridität erscheint Kultur als Kampfplatz, als Feld agonaler Energien, und steht im Zeichen von Konfrontation und Polemik. Der Workshop, zu dem wir einladen, möchte diskutieren, was die Kulturwissenschaften zum Verständnis dieser Eskalationslogik beitragen können: ihrer Orte und Schauplätze, ihrer Modi und Formen sowie schließlich der ihr zugrundeliegenden Affektpolitiken.

Schauplätze

Sind Kulturkämpfe Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kulturen oder geht es um die Klärung der Frage nach dem, was eine Gesellschaft als ,ihre‘ Kultur behauptet, was und wer dazugehört und was und wer nicht? Prominentes Beispiel dafür ist der Streit um ,den‘ Islam in vielen westlichen Gesellschaften, der weniger mit dessen Vertretern, sondern größtenteils innerhalb der Mehrheitsgesellschaft geführt wird, in einer Art Selbstgespräch also, das sich im Prinzip um die Frage nach dem Ort der Religion in der Moderne dreht. Auch ein vergleichender Blick drängt sich auf, etwa auf die vielleicht frappierendste gesellschaftliche Polarisierung unserer Tage in den USA. Warum dort? Was bedingt die Virulenz der zwischen den zwei Visionen der Vereinigten Staaten von Amerika geführten Auseinandersetzungen? Inwiefern sind sie paradigmatisch für culture wars in anderen Weltgegenden? Oder sind Kulturkämpfe nicht vielmehr nur historisch und lokal zu verorten und zu verstehen?

Streitweisen

Der Blick auf einige der prominentesten Eskalationsherde unserer Gegenwart wirft Fragen nach Mustern und Typen auf. Gibt es ein Modell – etwa das US-amerikanische Paradigma – oder verschiedene Muster? Wäre es möglich, eine Typologie solcher Konflikte zu entwickeln? Gibt es eine den Antagonismen und ihrer Polemik zugrundeliegende Grammatik und wenn ja, wie ließe sie sich beschreiben? Mit welchen Narrativen arbeiten die kulturkämpferischen Diskurse? Von wo wird gesprochen und in wessen Namen? Mit welche Selbstautorisierungen operieren die Kulturkampf-Skripte? Welche Setzungen und Zuschreibungen werden vorgenommen und welche Ausblendungen und Verkürzungen gehen damit einher? Wer wird eigentlich adressiert und wie? Welche Gegnerschaften und Bündnisse werden konstruiert? Wie enden Kulturkämpfe: mit Erschöpfung, Versöhnung, Umlenkung?

Affektpolitiken

Ideologiekritische Aufklärung über die ,Irrtümer‘ der Streitenden und ihre ‚wahren‘ Motive scheinen heute nicht mehr auszureichen, weil es zunehmend unklar ist, ob sich die Antagonismen auf materielle Interessen zurückführen und so irgendwie befried(ig)en lassen. Die so unversöhnlichen und unvermittelbaren Ansprüche, die in diesen Konflikten aufeinandertreffen, sind ohne Einbeziehung der Affekte, die in ihnen wirksam sind, kaum angemessen zu erfassen. Das Spektrum der dabei gezogenen affektiven Register reicht vom Pathos der gerechten Sache und ihrer endgültigen Durchsetzung zum Ressentiment der Gekränkten und Erniedrigten, das schon Nietzsche als zentrale Ressource politischer Mobilisierung erkannt hat. Wir erleben, so scheint es, die Rückkehr politischer Leidenschaften, erhabener wie niederer, von Empörung über Zorn zu Fanatismus, auf die Bühne der Öffentlichkeit, verstärkt und gesteigert durch die sozialen Medien. Aber der eruptive und gewaltsame Charakter ihrer Wiederkehr sollte nicht über den Anteil von Inszenierung und Kalkül hinwegtäuschen, die dabei mit im Spiel sind und deren Logik oder Rationalität näher zu beschreiben wären.

Nach einer Tagung über den historischen Kulturkampf des 19. Jahrhunderts, die 2021 an der Katholischen Akademie in Berlin stattfand und deren Ergebnisse kürzlich als Band erschienen sind, sowie einer zweiten Tagung, die wir im Januar dieses Jahres im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Aufklärung – Religion – Wissen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg organisiert haben, soll die dritte Veranstaltung zum Thema, eine Tagung an der Universität Halle, die gegenwärtigen Eskalationsdynamiken aus verschiedenen disziplinären Perspektiven in den Blick nehmen und dabei zugleich auch als methodische Herausforderung reflektieren.

PROGRAMM

Donnerstag, 21.11.2024

13.00 Begrüßung und Einleitung

13.30-15.30

Prof. Dr. Magdalena Marszalek, Potsdam: Die Unfähigkeit zu streiten. Streitkultur und gesellschaftliche Polarisierung

Dr. Julia Nitz, Halle: Kulturkampf in den USA: Muster und Dynamiken in historischer Perspektive

15.30-16.00 Pause

16.00-18.00

Dr. Aletta Diefenbach, Berlin: Affektpolitiken der duldenden Toleranz und der eigenen kulturellen Vielfalt. Wie die Neue Rechte über Religion streitet

Prof. Dr. Jörg Dierken, Halle: Sakralisierter Moralismus

18.00-18.30 Pause

18.30-19.30

Prof. Dr. Niels Werber, Siegen: Populäre Konflikte

Freitag 22.11.2024

9.00-11.00

Prof. Dr. Jürgen Brokoff, Berlin: Ressentiment und die Figur des (kämpfenden) Außenseiters: Botho Strauß

Neela Janssen, Wien/Halle: Feuilletonistischer Aufreger oder identitätspolitisches Sprachrohr? Simon Strauß‘ Debüt Sieben Nächte

11.00-11.30 Kaffeepause

11.30-13.30

Dr. Johannes Franzen, Siegen: Der vergiftete Paratext. Die Person des Künstlers als kontroverser Störfaktor

Dr. Johanna-Charlotte Horst, Halle: #tradwife. Kritik einer Lebensform

Große und kleine Zukünfte. Gespräch und Lesung, Literaturhaus Halle

4. November 2024, 19 Uhr

Die Autorin Verena Keßler und der Literaturwissenschaftler Stefan Willer diskutieren, wie das ‚kleine Leben‘ weitergehen kann, wenn die Frage des Weiterlebens im Großen und Ganzen zur Debatte steht. In ihrem Roman Eva (Hanser, 2023) verbindet Verena Keßler auf erzählerisch komplexe Weise Fragen von Mutterschaft mit solchen nach allgemeinen Zukunftsängsten. Dabei gelingt es ihr, „die unerträgliche Gleichzeitigkeit von Apokalypse und Nachwuchs in wunderbare Literatur“ zu verwandeln (Marlene Knobloch, Süddeutsche Zeitung).

Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Imaginationen der Zukunft“ – eine Kooperation der Stadt Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, gefördert vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft.

Vergangene Zukünfte — Ausstellungseröffnung, Lesung und Diskussion

Silber Salz Festival, Passage 13, 28. 10., 18 Uhr (Ausstellungseröffnung) und 1. November 2024, 19 Uhr (Lesung und Diskussion)

„(Vergangene) Zukünfte“ ist das Leitthema, unter dem sich Germanistikstudierende der Universität Halle und Bewohner*innen von Halle-Neustadt zusammengefunden haben.
In einem gemeinsamen Gespräch mit Studierenden, untersetzt mit Lesungen von zeithistorischen literarischen Texten kommen Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Dialog.
Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Imaginationen der Zukunft“ – eine Kooperation der Stadt Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, gefördert vom Stifterverband.