Transformation in den Kulturwissenschaften. Bestandsaufnahme und Perspektiven

Workshop¸Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 7. und 8. November 2024
Organisiert von Stephan Pabst und Daniel Weidner im Rahmen des Transformationslabors „Imagination der Zukunft“, eine Kooperation des Forschungsschwerpunkts „Aufklärung, Religion, Wissen“ und der Stadt Halle, gefördert vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft.

Transformationen sind immer auch kulturelle Prozesse. Denn nicht nur technische, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder ökologische Verhältnisse verändern sich heute grundlegend, sondern auch die Art, wie wir die Welt sehen und beschreiben und wie wir die Veränderung selbst vorstellen und erleben. Gerade wo Transformation nicht einfach als vorhersehbare Optimierung, planbare Anpassung oder als geschichtlich notwendige Veränderung gedacht wird, sondern als tiefgreifender Prozess mit offenem Ausgang, sind diese kulturellen Elemente besonders wichtig und müssen beständig reflektiert werden. Die Geistes- und Kulturwissenschaften als Spezialisten für Bilder, Erzählungen und Deutungen können daher entscheidend dazu beitragen, Transformationsprozesse zu verstehen, im öffentlichen Gespräch zu verankern. Die Tagung reflektiert dieses Potential und diskutiert damit auch, wie Perspektiven aus den Kultur- und Geisteswissenschaften stärker als bisher zur Profillinie „Transformation“ der Universität und Perspektivisch auch zum „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ beitragen können.

Ob Institutionen, in komplexen ökologischen Systemen oder in gesellschaftlichen Zusammenhängen – Transformationen wirken nur breit und nachhaltig, wenn sie von einem kulturellen Wandel begleitet werden. Denn es geht stets nicht nur um die Optimierung komplexer Prozesse in großen Zusammenhängen, sondern auch um die Veränderungen von Handlungsweisen und Bewertungen, nicht zuletzt auch um die Ziele, die mit den jeweiligen Transformationen gesetzt sind. Denn solche Veränderungen produzieren Affekte, Wünsche, Hoffnungen oder Enttäuschungen, die einen enormen Einfluss auf deren (politische) Gestaltung haben: Ob Transformationen gelingen, hängt auch davon ab, wie sie dargestellt und wahrgenommen werden.

Radikaler gedacht, ist Kultur nicht nur ein Element der Transformation, sondern sie ist – transkulturell–selbst immer ein Transformationsprozess: In ihrer kulturellen Produktion, in Erzählungen, Bildern, Ritualen setzt sich die Gesellschaft immer schon mit Veränderungen auseinander, wenngleich diese Veränderungen gesellschaftlich oft unter anderen Begriffen verhandelt wurden, dem des Fortschritts, der Revolution, der Evolution oder der Wende. Dementsprechend haben sich Geistes- und Kulturwissenschaften immer schon mit diesem Wandel beschäftigt, sei es, dass sie als historische Kulturwissenschaften ohnehin die Entwicklungs- und Veränderungsprozesse der Vergangenheit untersuchen, sei es, dass sie die Resonanzen aktueller Transformationen in Texten und Praktiken der Gegenwartskultur befragen, in denen – so die zu diskutierende Hypothese – solche Veränderungen in besonderer Weise signifikant werden.

In beiden Fällen verbindet sich das auch mit der Frage, wie solche Prozesse überhaupt – von Akteuren, Beobachtern, der Wissenschaft selbst – vorgestellt werden: als Bruch oder Kontinuität, als Erneuerung, Verschiebung, Revolution, ‚Wende‘ etc. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Transformation‘ selbst, der von Polanyi seinen Ausgang nahm und Geltung zunächst spezifisch für das späte 19. und 20. Jahrhundert beanspruchte. Seine Renaissance in Deutschland war stark an den Prozess des Systemwechsels in den vormals sozialistischen Staaten geknüpft, also an die Abgrenzung von anderen Begriffen – der Wende, der friedlichen Revolution, während er in den vergangenen Jahren stärker auf technische, ökologische oder ökonomische Veränderungsprozesse angewandt wurde.

Die Veranstaltung will über die Rolle der Kulturwissenschaften für die Erforschung der Transformation insbesondere in Bezug auf folgende Fragen diskutieren:
• Wie werden kulturwissenschaftlich Prozesse der Transformation beschreiben und was leistet das für die Profillinie der Universität?
• Wie wird über Transformation gedacht und gesprochen, wie lässt sich eine Kultur der Transformation denken und praktizieren?
• Wie verhält sich die Rede von der Transformation zu anderen Vorstellungen von Wandel, Entwicklung, Wende und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?
• Wie ist mit der politischen Dimension des Transformationsbegriffs und dessen spezifischer Geschichte seit 1989 umzugehen?
• Welche Forschungsfelder kultureller Transformation sind an der MLU besonders ausgeprägt und wie lassen die sich vernetzen?

Programm

Donnerstag 7. November 2024

14-15:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht, Thomasianum Raum 15)

  1. Paulina Gulińska-Jurgiel: Selbstentmachtung oder Selbstermächtigung? Tranformationsparlamente im Vergleich
  2. Stephan Pabst: Kotransformationen. Der ‚Osten‘ in Transformationserzählungen der Bundesrepublik
  3. Till Kössler: Ein Erfolgsmodell? Spaniens Übergang zur Demokratie nach 1975

16-17:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Franziska Heller:  „So stellt sich KI Sachsen-Anhalt vor…“ Digitale Bildtransformationen und die Funktionalisierung des Imaginären
  2. Daniel Cyranka: „Hinduism was Theosophy in practice (Gandhi)“. Esoterikforschung und Globale Religionsgeschichte
  3. Erik Redling: „Or does it explode?“ Zeitgenössische afroamerikanische Dramen im Zeitalter von Black Lives Matter

18:15 (Hörsaal II, Emil Abderhaldenstr. 28) Podiumsdiskussion:
Kulturwissenschaftliche Transformationsforschung
Raj Kollmorgen, NN, Daniel Weidner , Moderation Christine Fürst

Freitag, 8. November, 9:00-10:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Katrin Berndt „Failures of Futures Past“. Fortschrittserzählungen und ihre Leerstellen in der britischen Gegenwartskultur
  2. Friedemann Stengel: Humanismus. Transformationen, Kritik, Perspektiven
  3. Daniel Fulda: Wie viel und welche Zukunft können wir uns vorstellen? Social Imagining als Thema der Kulturwissenschaften

11:00-12:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Andreas Pecar: Revolution ohne Transformation? Die Englische Revolution im Spiegel der Forschung
  2. Daniel Weidner: „Sag mir, wer Du bist“. Transmigrationsgeschichten in der deutschen Gegenwartsliteratur
  3. Theo Jung: Zeitgeist. Ein Transformationsbegriff zwischen Gegenwartsdiagnose und Gespensterglaube